GESCHICHTE DES WIENER ÄRZTEBALLS


„Unter dem Ehrenschutz des Herrn Vizebürgermeisters, Stadtrat, Minister a.D. Lois Weinberger findet am Donnerstag, den 24. Februar 1949, um 21 Uhr, in den Sälen des Wiener Konzerthauses ein Ärzteball statt, der von der Sektion Spitalsärzte der Wiener Ärztekammer veranstaltet wird. Wir gestatten uns, alle Ärzte, ihre Familien und Freunde zu diesem Ball geziemend einzuladen.“
 
Diese Ankündigung in der Ausgabe 2/1949 der Mitteilungen der Wiener Ärztekammer bildeten den Startschuss einer Balltradition, von der – bis auf zwei Ausnahmen – in all den Jahren danach nicht mehr gelassen werden sollte.

Ein dunkler Anzug reichte

Dass nicht die Ärztekammer im Gesamten als Ballveranstalterin fungierte, sondern die Sektion Spitalsärzte, ist nicht das Einzige, was aus heutiger Sicht ungewöhnlich anmutet. Auch die Kleidervorschriften waren lockerer: Es reichte damals, im „Smoking oder dunklen Anzug zu erscheinen“.

Aus heutiger Sicht würde ein Anzug – egal ob dunkel oder hell – wohl nicht als passendes Outfit für den Mann genügen. Der Smoking ist als Standard vorgeschrieben, der Frack als Kleidungstück, wenn schon nicht ausdrücklich gewünscht, so doch sehr gerne von den Ballverantwortlichen gesehen. 
 
Über die damaligen Eintrittspreise schweigt sich die Chronik aus.
Der Ort des ersten Wiener Ärzteballs ist jedenfalls das Wiener Konzerthaus. Schon damals gab es eine angekündigte „Mitternachtsdarbietung“. Gestaltet haben diese „Die kleinen Vier“. Dem (nicht erwähnten) Autor des danach in den Mitteilungen erschienen Berichts über den ersten Wiener Ärzteball war diese Einlage keine besondere Erwähnung wert.

Das ist verwunderlich, denn neben Hedy Faßler, Fred Kraus und Willi Hufnagl trat auch ein gewisser Gunther Plachetta auf – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Gunther Philipp. Der war damals schon populär, war doch sein Brotberuf die Schauspielerei. Erlernt hat er aber auch das medizinische Handwerk, und zeitweise war er sogar in der ärztlichen Standesliste eingetragen.

Die Zeiten waren schlecht, und die Entscheidung, einen Ärzteball erstmals zu organisieren, dürfte den damaligen Verantwortlichen nicht wirklich leicht gefallen sein. Lesen wir wiederum im offiziellen Ballbericht in den Mitteilungen: „Es muß der Sektion der Spitalsärzte der Wiener Ärztekammer und besonders der Balleitung, den Herren Assistenten Doktor Mazanek und Doktor Dolinar gedankt werden, daß sie trotz allem entgegenstehenden Skeptizismus und Widerwärtigkeiten den Mut nicht aufgaben, einen Ärzteball zu veranstalten und ihn auch zu einem vollen Erfolg zu führen. Der Beweis für die Richtigkeit ihrer Idee ist die Tatsache, daß bei einer Besucherzahl von ungefähr 4500 wegen Überfüllung des Wiener Konzerthauses jeder weitere Zutritt polizeilich eingestellt werden mußte.“

Die Lust der Wiener, nach den Schrecknissen des Krieges wieder nach vorne zu schauen, muss damals groß gewesen sein.

Günstige Karten für Spitalsärztinnen und Spitalsärzte

Erfolg macht bekanntlich mutig. Daher verwundert es nicht sehr, dass bereits der zweite Wiener Ärzteball am 16. Februar 1950 den „Pionieren“ aus der Sektion genommen und in die Gesamtverantwortlichkeit der Wiener Ärztekammer einverleibt wurde. Eine Sonderstellung für die Spitalsärztinnen und Spitalsärzte dürfte es aber auch danach noch gegeben haben. So weist der Programmzettel des vierten Wiener Ärzteballs am 13. Februar 1953 (im Jahr 1952 fand wegen des „finanziell großen Risikos“ kein Ärzteball statt) reduzierte Eintrittspreise auf, allerdings nicht, so wie heute üblich, für Studierende, sondern – richtig: für "Spitalsärzte". Diese mussten für den Eintritt nämlich nur 25 Schilling zahlen, für alle anderen waren es satte 40 Schilling.

Das Service an den Mitgliedern wurde jedenfalls schon damals großgeschrieben: „Da sich die Balleitung bewußt ist, daß gerade im 1. Viertel des Jahres die Fachärzte und praktischen Ärzte arbeitsmäßig überlastet sind, wird ab 7. Jänner 1953 bei den Kollegen telefonisch wegen Kartenbestellungen rückgefragt. Die bestellten Karten werden durch Boten zugestellt.“

Anzunehmen ist, dass zur damaligen Zeit die Zahl der Gäste aus den Bundesländern und dem Ausland sich in Grenzen gehalten hat, sonst wäre eine Kartenzustellung per Boten wohl nicht möglich gewesen.
Die Eintrittspreise blieben lange Zeit stabil. Erst mit dem neunten Wiener Ärzteball am 18. Jänner 1958 gab es eine moderate Erhöhung auf 30 beziehungsweise 50 Schilling.

Im Laufe der Zeit geändert haben dürfte sich jedoch die Vorstellung der Ballorganisatoren hinsichtlich der Festlichkeit des Geschehens, wissen doch die Mitteilungen (3/1956) vom siebenten Wiener Ärzteball am 10. Februar 1956 zu berichten, dass die „Abendkleidung der Herren immer mehr zu Frack und Smoking tendiert“. Erstmals vorgeschrieben wurde es dann acht Jahre später beim 15. Wiener Ärzteball am 25. Jänner 1964.
 
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Mitteilungsblatt der Ärztekammer für Wien 1955

„Glanzvolle Sangeskunst der Damen“

Eine Zäsur in mehrfacher Hinsicht bildete der 14. Wiener Ärzteball am 26. Jänner 1963.

Erstmals wurde die Hofburg als Veranstaltungsort gewählt. Und dabei blieb man dann auch. Ab diesem Zeitpunkt fand der Ärzteball ausschließlich in deren Festräumen statt – alljährlich am letzten Samstag im Jänner (mit nur einer Ausnahme – doch davon später). Der damalige Leiter des Ärzteballs, Hans Dolinar, konnte danach stolz berichten, dass der Wiener Ärzteball „nunmehr in der Wiener Hofburg einen festen Platz bekommen“ habe und in den nächsten Jahren immer am letzten Samstag im Jänner stattfinden werde.

Mit dem 14. Wiener Ärzteball wurde auch der Sonderstellung der Spitalsärztinnen und Spitalsärzte ein Ende bereitet. Konnten diese im Jahr zuvor noch auf die günstigeren Karten zurückgreifen (40 statt 70 Schilling), so galt ab 1963 ein für alle Ärztinnen und Ärzte einheitlicher Kartenpreis, wenn auch deutlich erhöht: 160 Schilling an der Abendkasse beziehungsweise 120 Schilling im Vorverkauf.

Erwähnenswert ist auch der 19. Wiener Ärzteball am 27. Jänner 1968. Die Chronik weiß hier zu berichten von der „einfallsreichen Choreographie“ bei der Eröffnung sowie der „glanzvollen Sangeskunst der Damen Lotte Rysanek und Monique Lobasà sowie der Herren Holecek und Minich“ bei der Mitternachtseinlage, die „im Verein mit den Darbietungen des Balletts das Publikum zu Begeisterungsstürmen“ hinrissen.

Verantwortlich für die Mitternachtseinlage („Ha, welch ein Fest“ aus der Fledermaus) zeichnete erstmals Fred Mastaires. Zwar hatte er noch nicht die gesamte künstlerische Leitung des Balls inne (diese oblag nach wie vor dem legendären Tanzschulbesitzer Willy Fränzl), aber die Mitternachtseinlage fand bereits enthusiastischen Eingang in die Berichterstattung der Mitteilungen: „Dicht drängten sich die Zuschauer im Festsaal, und es kam sogar vor, daß besonders ‚große‘ Kavaliere ihre Damen auf die Schultern hoben, damit das optische Vergnügen das musikalische erhöhe.“

Und an anderer Stelle schreibt der Chronist, Hans Dolinar, begeistert: „Der Werdegang des Ärzteballs spiegelt 20 Jahre Nachkriegsgeschichte unserer Standesvertretung: den Aufbau in den vierziger und fünfziger Jahren, wo wir unsere Bälle noch im Konzerthaus veranstalteten; dann das Erstarken in den sechziger Jahren, in denen der Ball auf Initiative von Präsident Dr. Fritz Daume in die Hofburg übersiedelte; und schließlich als glanzvollen Höhepunkt das heurige 20jährige Jubiläum, das den verdienten Aufstieg unseres Standes widerspiegelt.“

Die Prominenz gibt sich die Ehre

Schon immer waren Ärztebälle Treffpunkt heimischer Politikprominenz. Parlamentspräsidenten gaben sich ebenso die Ehre wie Minister, Stadträte und später EU-Kommissäre. Dass früher oft auch Bundespräsident und Bundeskanzler anwesend waren, zeigt ebenfalls die Chronik: Julius Raab und Alfons Gorbach kamen ebenso wie später die Bundespräsidenten Franz Jonas und Rudolf Kirchschläger.
Weitere Beispiel der illustren Schar an Ehrengästen im Laufe der langjährigen Geschichte des Wiener Ärzteballs: Theodor Körner, Leopold Figl und Bruno Pittermann.

Nach 1952 musste der Wiener Ärzteball übrigens nur noch einmal aussetzen, und zwar im Jahr 1991. Grund war damals der im Zuge des zweiten Golfkriegs erfolgte Einmarsch der von den USA geführten Koalition in Kuwait. Die unklare Sicherheitslage hatte die Organisatoren des Wiener Opernballs zu einer Absage bewogen. Viele andere Ballveranstalter taten es dem Opernball gleich und sagten ebenfalls ab. Auch der Wiener Ärztekammer war das Sicherheitsrisiko zu groß: Der Ärzteball wurde abgesagt und musste ein Jahr pausieren – wie damals fast alle großen Wiener Traditionsbälle.

Vieles hat sich von den Anfängen bis jetzt verändert: die grundsätzliche wirtschaftliche Situation, die beruflichen Voraussetzungen für den Ärztestand, die Arbeitswelt im Allgemeinen.

Eine Unzahl von Ehrengästen gab den Ballveranstaltern bislang die Ehre, eine Reihe von Präsidenten der Ärztekammer trat als Hausherren auf, die Mitternachtseinlagen sowie die Tanzkapellen wechselten sich entsprechend dem jeweiligen Zeitgeist ab. Eines ist aber immer gleich geblieben: die zahlreichen Ballgäste, die stets dicht gedrängt auf der Tanzfläche, an den Bars, den Tischen oder in den Gängen des Konzerthauses beziehungsweise in der Hofburg ihren Spaß an der Veranstaltung hatten.

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14. Wiener Ärzteball